Sissi Tax ist eine Anarchistin des Alltags, eine Anarchistin der Zeit, und vor allem eine Anarchistin der Sprache. Von den Machtverhältnissen des Marktes lässt sie sich nicht selbstentfremden, das Konzept der Generation lehnt sie ab, die Herrschaft der Sprache vermag ihr Denken nicht zu beugen. Sie ist Schriftstellerin; unverkennbar ihr Ton. Tax denken heißt von Klang zu Bedeutung zu Klang zu Bedeutung zu wandern, um zu Sinn zu kommen. Tax liebt Kino und Kritik. Das zeigt sich auch im Schreiben. Dem Terror der Bilder wird die Skepsis der Sprache an die Seite gestellt: Eine Anekdote aus der Paris Bar, das erweiterte Wohnzimmer von Sissi Tax, erzählt mehr, als alles, was hier sonst noch an Überbau auf dem Taxgestell zu finden wär. Vor einiger Zeit war das schon, ein Abend, vier Frauen, Sissi, zwei Freundinnen von uns und ich: „Meine Großmutter“, erzählt die eine, „möchte anonym begraben werden, an der gleichen Stelle, wie viele ihrer Freunde. Das nimmt jetzt zu.“ „In einem Waldfriedhof?“ fragt Sissi Tax. „Nein, ein normaler Friedhof, dort in einer Ecke.“ „Ein Aschenmassengrab also.“ „Ja so kann man das nennen…“ „Ein wunderbares Wort. Also wundert Euch nicht, wenn dann irgendwann ein Text von mir mit Aschenmassengrab beginnt.“ Ich sage: „Aschenmassengrab. Paul Celan wäre sehr stolz darauf gewesen, dieses Wort erdacht zu haben.“ Sissi: „Wer?“ Ich: „Paul Celan.“ Sissi: „Ach Paul Celan. Ich versteh das ja immer nicht, wenn die Deutschen das aussprechen. Wir sagen ja Cëlan und nicht Celān.“ Ich: „So wie ihr Mathemātik sagt, und nicht Mathematīk. Ich les mir diese Aussprache ja aktiv an, wenn ich österreichisches Deutsch verstehen will.“ Sissi, nach einer kurzen Pause, kehrt zum Aschenmassengrab zurück: „Die unendlichen Möglichkeiten der deutschen Sprache durch die Komposita. Man könnte die Entropie von Pynchon im Deutschen bis ins Letzte treiben.“ Die eine: „Wir würden am Ende beim Aussprechen eines einzigen Wortes landen. Und es braucht ein ganzes Leben, um es zu sagen.“ Ich: „Was für ein schöner Gedanke. Was für ein wunderschöner Gedanke.“ Sissi: „Wart, ich setz noch einen drauf: Aschenmassengrabstättensteininschrift. Anne das musst du festhalten.“ Ich: „Das kannst Du nur sagen in deiner Funktion als Erste Vorsitzende des Köflacher Vereins zur Rettung des Umlauts, in dem ich bekanntermaßen seit einem Jahr Mitglied bin.“ Die eine: „Was ist das denn für ein Verein?“ „Dieser Verein wurde vor einigen Jahren gegründet – von mir. Und zwar als mir aufgefallen ist, dass durch die Computerisierung der Welt der Umlaut nach und nach verschwindet. Und es hat sich ja auch vollends bestätigt. Schau Dir doch mal die Emailadressen an, von allen Menschen, die einen Umlaut in ihrem Nachnamen tragen.“ Die eine: „Die armen Vögel.“ Die andere wirft ein: „Ich dachte immer, dass ein Freund von mir tatsächlich Maelzer heißt, und ich fand das so schön, drei Vokale, a,e,i. Aber dann stellte sich heraus, dass er sich als frankophoner Schweizer so sehr schämte, einen Umlaut im Namen zu tragen, dass er es umgeändert hat.“ Sissi: „Das ist definitiv ein klassischer Fall bei dem der Köflacher Verein zur Rettung des Umlauts aktiv werden müsste.“ Sissi Tax ist, um es in steirisch-jiddisch zu sagen: a Mensch, einer der denkt.